KIRA SCHMIDTDie gebürtige Düsseldorferin lebt bereits seit früher Kindheit im Ruhrgebiet. Durch die Arbeit ihres Vaters, dem freischaffenden Künstler und ersten Ehrenbürger des Ruhrgebietes Alfred Schmidt, lernte sie das Revier auf besondere Weise kennen. Nicht nur durch die Arbeit des Vaters inspiriert, sondern auch durch den künstlerischen Freundeskreis des Vaters und der Familie (zu diesem gehörten Künstler wie Joseph Beuys, Wolf Vostell oder auch das Künstlerpaar Bernd und Hilla Becher), wandte sie sich bereits in frühster Jugend dem Schreiben zu.
Tagebuch 2007 - Eine Spurensuche "Es handelt sich hierbei tatsächlich um ein Tagebuch in visueller Form. Denn durch meine Arbeit im Rahmen von „Forum Ruhrkultur“ habe ich im Frühjahr 2007 begonnen, verstärkt Ankerpunkte der Route Industriekultur zu besuchen. Hier stellte sich für mich vor allem die Frage nach den Spuren der industriellen Ära des Reviers. Und nicht nur nach denen, die groß aufbereitet und offensichtlich sind. Sondern auch die kleinen waren für mich von Interesse. Ihre Geschichte, die sie dem aufmerksamen Besucher erzählen, und vor allem ihr Gesicht. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn viele der ausgestellten Fotos werden Überraschungen für den Betrachter bereithalten. Und sie zeigen, wie viel Persönlichkeit Relikte des vergangenen Jahrhunderts, dem Jahrhundert der Hochkultur der Industrie im Ruhrgebiet, heute noch haben. Kira Schmidt Im September 2008 zeigte Kira Schmidt weitere Fotoarbeiten unter dem Ausstellungstitel "Tagebuch 2008 - Gesichter des Reviers". Doch wer nun hinter diesem Titel Gesichter von Menschen vermutet, der irrt.
|
Links in der Ecke steht Tag ein Tag aus ein Mann. Kein echter, versteht sich. Es ist nur eine Puppe, gekleidet in einem wenig modischen Misch aus Bergmannskluft und Bahnwärter-Uniform. Auf dem Kopf hat er einen Sicherheits-Helm. Obendrauf krönt der Hut einer Ausgeh-Uniform der Bergleute das Bild. Ein Wachposten im kleinen Bahnwärterhäuschen von Alfred Konter, den alle hier nur „Alfredo“ nennen.Fünf Quadratmeter groß ist das Reich des kleinen Mannes, quasi seine Residenz. Denn in der Gegend gilt der gebürtige Gelsenkirchener als ungekrönter König von Beckhausen. Und der hält jeden Samstag Hof. Dann darf jeder kommen, der Alfredo reden hören will. Das tut der nämlich besonders gerne. Und so freut er sich, wenn regelmäßig so viele kommen, wie in das kleine Häuschen hinein passen. An Wintertagen ist sein Publikum damit limitiert. Im Sommer aber spielt sich das Leben vor der Tür ab. Im kleinen Garten, mit Fischteich und Rosenbeet neben dem symbolischen Grab des letzten Grubenpferdes Alex. Größer ist es nicht, das Königreich des ehemaligen Bahnwärters, der auch lange nach seiner Pensionierung im Haus, in dem früher der Zugverkehr geregelt wurde, der Herr ist. |
„Invalidenrunde“, nennt er die Treffen am Samstagmorgen lachend. Weil viele seiner Besucher über achtzig sind. Dann wird erzählt und gelacht, und wenn alle Themen diskutiert wurden, wird gemeinsam gesungen.
Im Jahr 1929 wurde der Bahnwärter im Schatten der Glückaufkampfbahn geboren. Nur einmal, als die Familie mit sechs Kindern im zweiten Weltkrieg ausgebombt wurde, verließ er Gelsenkirchen. Nach dem Krieg arbeitete Alfred Konter im Drahtwerk und im Stahlwerk, später dann bei der Ruhrkohle. Ab 1980 bewachte der Vater von vier Töchtern die Schranke an der Horster Straße.
Draußen knallt es ein paar Mal. Ein Halbwüchsiger turnt auf der Schranke herum. Mit dem passionierten Bahnwärter hat er an diesem kalten Wintertag nicht gerechnet. „Ich hol dich gleich da runter“, ruft Alfredo aus der geöffneten Tür heraus. Allerdings ohne den Eindruck zu machen, als wolle er seinen Worten wirklich Taten folgen lassen. Trotzdem, er macht Eindruck. „Geh mal auf die Kirmes. Da kannste schaukeln.“
1988 drohte dem kleinen Häuschen zum ersten Mal der Abriss. Die Schranke sollte von nun an vollautomatisch geregelt werden. „Ich war damals schon in Rente. Die haben ja darauf gewartet und nicht damit gerechnet, dass ich weiter hier stehe“, strahlt der ewig Junggebliebene augenzwinkernd. „Die“, das war zu diesem Zeitpunkt die Ruhrkohle.
Aber der Rentner war clever. Penibel berechnete der, wie lange die Schranke bei automatischem Betrieb geschlossen bleiben würde. Das Ergebnis: Fünf bis sechs Minuten. Alfredo hatte einst gut eine Minute gebraucht. „Die Anwohner hätten noch nicht einmal mehr ein Fenster öffnen können wegen der Abgase. Und dann ist die Bedienung durch den Menschen auch sicherer. Hier sind viele kleine Kinder gewesen, die vorbei kamen. Mein Kampfspruch war damals, Sicherheit vor Rationalisierung!“
Und damit setzte sich der kleine Mann gegen die durch, die eigentlich das Sagen hatten.
Bis zur Stilllegung der Zeche Hugo im Jahr 2000 ging das auch gut so. „Solange war Ruhe. Aber die Abrisspläne lagen schon in der Schublade.“
Alfred Konter sammelte Unterschriften. Er wollte erreichen, dass sein kleines Häuschen unter Denkmalschutz gestellt wurde. Doch die Stadt zerstörte alle Illusionen. „Die Stadt hat mit gesagt, ich könne 30.000 Unterschriften haben und würde es nicht schaffen. Dann fing ich an Gespräche zu führen und Briefe zu schreiben, bis die Müde wurden.“
Heute, fünf Jahre später, ist endlich ein Ausweg in Sicht. Der „Regionalverband Ruhrgebiet“ übernimmt das alte Bahnwärterhäuschen an der Strecke der ehemaligen Zechenbahn, die die Kohle von Hugo zum eigenen Hugo-Hafen brachte. Aus dem Arbeitsplatz der Schrankenwärter wird dann ein Industrie-Denkmal. Dann ist sein Erhalt gesichert. So wie Alfred Konter es immer wollte.
Es war ein siebzehn Jahre langer Kampf für den Mann mit dem grauen Schnauzbart. „Es gab oft aufregende Zeiten. Ich habe manche Nacht nicht geschlafen, das darf man mir glauben.“ Und nicht nur, weil der agile Lokalmatador oftmals in der Nacht das Bahnwärterhäuschen anstrich, weil es ihm eigentlich gar nicht gestattet war.
Doch was waren die Gründe für das couragierte Aufbegehren? „Am Anfang waren das praktische Gründe. Als ich meinen Dienst aufgenommen habe, habe ich einen sehr guten Kontakt zu den Bürgern bekommen. Deswegen habe ich mich für sie eingesetzt. Ich kannte ja die Gefahr bei Nichtbesetzung für die Kinder. Später kamen andere Gründe hinzu. Und heute kommen Minister und Bürgermeister, Ärzte und Rechtsanwälte zu mir. Ich habe es geschafft, dieses Haus über die Grenzen Gelsenkirchens hinaus bekannt zu machen!“
Seit drei Jahren wird er bei seiner Aufgabe tatkräftig unterstützt. Emmanuel, ein alter Wolga-Deutscher, hilft ihm bei der Arbeit rund um das Bahnwärterhaus, das Alfredo seit siebzehn Jahren „in Pflege“ hat, wie er es selber ausdrückt. Emmanuel wohnt in der Nähe. Oft sieht er einfach nach dem Rechten oder geht Bier und Schnaps holen. Von beidem brauchen sie samstags eine Menge, beim Alfredo an der Schranke.
Wann sein Name die italienische Note bekam, weiß er gar nicht mehr. Irgendwann ist das einfach passiert. „Die Leute meinten einfach, der muss einen besonderen Namen haben. Und heute, für Bürgermeisters und alle, bin ich nur der Alfredo.“ Ein wenig kann es auch an seinem Temperament liegen. „Da bin ich voll von – datt is schon mal klar“, stellt der Rentner energisch fest.
Kein Wunder, dass der Rentner auch früher schon zu Scherzen aufgelegt war. „Damals habe ich jeden tag Geldmünzen auf den Gehweg geklebt. Es wurde zu dieser Zeit gerade wieder über die Kürzung der Subventionen für die Kumpel diskutiert. Ich habe dann aus dem Fenster heraus die Menschen beobachtet. Viele haben sich gebückt und sich dann gewundert. Die Frau Thon – die Mutter vom Olaf – die hat immer wieder versucht, die Münzen aufzuheben. Dann bin ich raus und hab gesagt, das ist das Geld für die Kumpel. Und die halten das von unten fest.“
Trotz allem Engagements für die gute Sache, Alfred Konter hatte noch eine weitere Leidenschaft: Das Männerballett. „wie sind immer zur Karnevalszeit aufgetreten. Aber das mache ich schon lange nicht mehr“, winkt er lachend ab. „Obwohl Tanzen und Singen in meiner Natur liegt.“ Alfredo strahlt über das ganze Gesicht und springt von seinem alten Stuhl auf. Um seine Worte zu bestätigen, stimmt er fröhlich ein Lied an: „Gottlibuschek jung an Jahren, kam von Polen nach Westfalen angefahren, mit schwarzkarierte Hut auf Kopf und Rucksack hinten drupp.“
Vor allem die älteren Bewohner in Beckhausen schätzen nicht nur Alfred Konters menschliche, sondern auch dessen Entertainer-Qualitäten. „Viele Leute kommen und fragen mit Tränen in den Augen, Alfredo, was ist, wenn du mal nicht mehr bist? Einige sagen sogar zu mir, wenn du mal von dieser Erde gehst, dann müssen die am Friedhof Eintrittskarten verkaufen.“
Darauf müssen alle aber noch lange warten. Denn Alfredo hat noch viele Pläne. „Ich werde über hundert Jahre alt, mindestens hundertvier.“ Danach beginnt für den Pensionär eine Berufskarriere der besonderen Art. „dann bekomme ich erst meinen Vertrag und werde Konditionstrainer bei Schalke.“
Bis dahin macht er täglich seine Touren. Durch die Siedlung, zum Schrankenwärterhaus oder ins kleine Museum. Selten besucht Alfredo auch mal den Arzt. Dem macht das rüstige Temperamentbündel aber kaum arbeit. „Ich habe sechzig Jahre geraucht. Ich trinke gerne mal ein Bierchen und ein Schnäpschen, das hält immer jung.“
Vielleicht ist es auch die viele Bewegung. Denn wann immer es geht, nimmt Alfredo für seine Unternehmungen das Rad. Bei schlechtem Wetter fährt er Bahn. „Früher, wenn mich die Zugfahrer an der Schranke gesehen haben, haben die den anderen über Funk Bescheid gesagt, der Alfredo macht Dienst. Als Antwort kam dann manchmal die Frage, mit wie vielen Ketten haben sie ihn angebunden?“
Der lustige kleine Mann lacht. Ihm gefällt sein Ruf und auch die Freiheit, die er genießt. Anders könnte er gar nicht leben. „Einen Jagdhund“, und dann lacht er und hebt mahnend seinen Zeigefinger, „einen Jagdhund, den kann man nicht an die Kette legen.“
© 2008 K.Schmidt
© Alfred-Schmidt-Haus. Gelsenkirchen - Germany